Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte – Rechtssache der Christdemokratischen Volkspartei gegen Moldawien (Nr. 2) (2010)
RECHTSSACHE CHRISTDEMOKRATISCHE VOLKSPARTEI / REPUBLIK MOLDAU (Nr. 2)
(Antrag Nr. 25196/04)
URTEIL
STRAßBURG
2. Februar 2010
ENDGÜLTIG
02/05/2010
Dieses Urteil wird unter den in Artikel 44 § 2 des Übereinkommens genannten Umständen rechtskräftig. Es kann einer redaktionellen Überarbeitung unterliegen.
Im Fall der Christdemokratischen Volkspartei gegen Moldawien (Nr. 2),
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Vierte Fachgruppe), als Kammer bestehend aus:
Nicolas Bratza, Präsident,
Lech Garlicki,
Ljiljana Mijović,
David Thór Björgvinsson,
Ján Šikuta,
Päivi Hirvelä,
Mihai Poalelungi, Richter,
und Fatoş Aracı, stellvertretender Kanzler der Sektion,
Nach nichtöffentlicher Beratung am 12.Januar 2010
erlässt
das folgende Urteil, das an diesem Tag erlassen wurde:
VERFAHREN
1. Der Fall entstand in einer Anmeldung (Nr. 25196/04) gegen die Republik Moldau, die am 26.Mai 2004 von der Christdemokratischen Volkspartei („antragstellende Partei“) gemäß Artikel 34 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten („Konvention“) beim Gerichtshof eingereicht wurde.
2. Die Klägerin wurde von Herrn V Nagacevschi, einem in Chişinău tätigen Rechtsanwalt, vertreten. Die moldauische Regierung („die Regierung“) wurde durch ihren Agenten, Herrn V. Grosu, vertreten.
3. Die Klägerin machte insbesondere geltend, ihr Recht auf Versammlungsfreiheit sei verletzt worden.
4. Am 4. April 2008 beschloss der Vorsitzende der Vierten Fachgruppe, den Antrag der Regierung mitzuteilen. Es wurde auch beschlossen, die Begründetheit des Antrags gleichzeitig mit seiner Zulässigkeit zu prüfen (Artikel 29 § 3).
DIE FAKTEN
I. DIE UMSTÄNDE DES FALLES
5. Die Christdemokratische Volkspartei („CDPP“) ist eine politische Partei in der Republik Moldau, die im Parlament vertreten war und zum Zeitpunkt der Ereignisse in der Opposition war.
6. Am 3. Dezember 2003 beantragte die antragstellende Partei beim Gemeinderat von Chişinău die Genehmigung, am 25. Januar 2004 auf dem Platz der Großen Nationalversammlung vor dem Regierungsgebäude eine Protestdemonstration abzuhalten. Dem Antrag zufolge beabsichtigten die Organisatoren, ihre Ansichten über das Funktionieren der demokratischen Institutionen in der Republik Moldau, die Achtung der Menschenrechte und den moldo-russischen Konflikt in Transnistrien zum Ausdruck zu bringen.
7. Am 20. Januar 2004 lehnte der Gemeinderat von Chişinău den Antrag der antragstellenden Partei mit der Begründung ab, dass „überzeugende Beweise dafür vorliegen, dass während des Treffens zu einem Krieg der Aggression, des ethnischen Hasses und der öffentlichen Gewalt aufgerufen wird“.
8. Die Klägerin hat die Ablehnung vor Gericht angefochten und unter anderem geltend gemacht, dass die vom Gemeinderat geltend gemachten Gründe völlig unbegründet seien.
9. Am 23.Januar 2004 wies das Berufungsgericht von Chişinău die Klage der Klägerin ab. Das Gericht stellte fest, dass die Weigerung des Gemeinderats, die Demonstration der CDPP zu genehmigen, gerechtfertigt war, weil die von ihr verbreiteten Flugblätter Slogans wie „Nieder mit dem totalitären Regime von Voronin“ und „Nieder mit Putins Besatzungsregime“ enthielten. Nach Ansicht des Berufungsgerichts stellten diese Parolen einen Aufruf zum gewaltsamen Sturz des Verfassungsregimes und zum Hass gegen das russische Volk dar. In diesem Zusammenhang erinnerte der Gerichtshof daran, dass die Demonstranten bei einer früheren Demonstration, die von der antragstellenden Partei aus Protest gegen die Präsenz des russischen Militärs in Transnistrien organisiert worden war, ein Bild des Präsidenten der Russischen Föderation und eine russische Flagge verbrannt hatten.
10. Die antragstellende Partei legte gegen die obige Entscheidung Berufung ein und machte unter anderem geltend, dass die angefochtenen Slogans vernünftigerweise nicht als Aufruf zum gewaltsamen Sturz der Regierung oder als Aufruf zum ethnischen Hass hätte interpretiert werden können und dass die Weigerung, das Treffen zu genehmigen, eine Verletzung ihrer durch die Artikel 10 und 11 des Übereinkommens garantierten Rechte darstelle.
11. Am 21.April 2004 wies der Oberste Gerichtshof die Beschwerde der Klägerin ab und bestätigte das Urteil des Berufungsgerichts.
II. EINSCHLÄGIGES INNERSTAATLICHES RECHT
12. Die einschlägigen Bestimmungen des Versammlungsgesetzes vom 21. Juni 1995 lauten wie folgt:
„Abschnitt 6
(1) Versammlungen sollen friedlich und ohne Waffen jeglicher Art durchgeführt werden und den Schutz der Teilnehmer und der Umwelt gewährleisten, ohne die normale Nutzung öffentlicher Autobahnen, den Straßenverkehr und den Betrieb wirtschaftlicher Unternehmen zu behindern und ohne in Gewalttaten auszuarten, die die öffentliche Ordnung sowie die körperliche Unversehrtheit und das Leben von Personen oder deren Eigentum gefährden können.
Abschnitt 7
Versammlungen werden unter folgenden Umständen ausgesetzt:
a) Verleugnung und Diffamierung des Staates und des Volkes;
b) Aufstachelung zu Krieg oder Aggression und Aufstachelung zu Hass aus ethnischen, rassischen oder religiösen Gründen;
c) Aufstachelung zu Diskriminierung, territorialem Separatismus oder öffentlicher Gewalt;
d) Handlungen, die die verfassungsmäßige Ordnung untergraben.
Abschnitt 8
(1) Versammlungen können auf Plätzen, Straßen, Parks und anderen öffentlichen Plätzen in Städten und Dörfern sowie in öffentlichen Gebäuden durchgeführt werden.
(2) Es ist verboten, eine Versammlung in den Gebäuden der Behörden, der örtlichen Behörden, der Staatsanwaltschaften, der Gerichte oder der Unternehmen mit bewaffneter Sicherheit durchzuführen.
(3) Es ist verboten, Versammlungen durchzuführen:
(a) im Umkreis von fünfzig Metern um das Parlamentsgebäude, die Residenz des Präsidenten der Republik Moldau, den Sitz der Regierung, das Verfassungsgericht und den Obersten Gerichtshof;
b) im Umkreis von fünfundzwanzig Metern um die Gebäude der zentralen Verwaltungsbehörde, der örtlichen Behörden, der Gerichte, der Staatsanwaltschaften, der Polizeistationen, der Gefängnisse und der sozialen Rehabilitationseinrichtungen, der militärischen Einrichtungen, der Bahnhöfe, der Flughäfen, der Krankenhäuser, der Unternehmen, die gefährliche Geräte und Maschinen einsetzen, und der diplomatischen Einrichtungen.
(4) Der freie Zugang zu den Räumlichkeiten der in Absatz 3 genannten Institute wird gewährleistet.
(5) Die lokalen Behörden können, wenn die Organisatoren zustimmen, Orte oder Gebäude für ständige Versammlungen einrichten.
Abschnitt 11
(1) Spätestens fünfzehn Tage vor dem Tag der Versammlung legt der Veranstalter dem Gemeinderat eine Mitteilung vor, deren Muster in der Anlage enthalten ist, die Bestandteil dieses Gesetzes ist.
(2) In der Voranmeldung sind anzugeben:
a) Name des Veranstalters der Versammlung und Ziel der Versammlung;
b) Datum, Beginn und Ende der Versammlung;
c) Ort der Versammlung sowie Zu- und Rückwege;
d) Art und Weise, in der die Versammlung stattfinden soll;
(e) die ungefähre Anzahl der Teilnehmer;
(f) die Personen, die für die ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung verantwortlich sind;
(g) die Dienstleistungen, die der Organisator der Versammlung dem Gemeinderat erbringt.
(3) Wenn es die Situation erfordert, kann der Gemeinderat mit Zustimmung des Veranstalters der Versammlung bestimmte Aspekte der vorherigen Benachrichtigung ändern.“
Abschnitt 12
(1) Die vorherige Benachrichtigung wird von der lokalen Regierung der Stadt oder des Dorfes spätestens 5 Tage vor dem Datum der Versammlung geprüft.
(2) Wird die Voranmeldung in einer ordentlichen oder außerordentlichen Sitzung des Gemeinderats geprüft, so werden Form, Zeitplan, Ort und sonstige Bedingungen für die Durchführung der Versammlung erörtert, und die getroffene Entscheidung trägt der besonderen Situation rechnung.
(…)
(6) Die lokalen Behörden können einen Antrag auf Durchführung einer Versammlung nur ablehnen, wenn sie nach Rücksprache mit der Polizei überzeugende Beweise dafür erhalten haben, dass die Bestimmungen der Abschnitte 6 und 7 mit schwerwiegenden Folgen für die Gesellschaft verletzt werden.
Abschnitt 14
(1) Eine Entscheidung über die Ablehnung des Antrags auf Einberufung einer Versammlung ist schriftlich zu begründen und vorzulegen. Sie enthält Gründe für die Verweigerung der Erteilung der Genehmigung…
Abschnitt 15
(1) Der Organisator der Versammlung kann die Ablehnung der lokalen Regierung vor den Verwaltungsgerichten anfechten.“
DAS GESETZ
13. Die antragstellende Partei beklagte, dass die Weigerung, ihren Protest zu genehmigen, gegen ihr in Artikel 11 des Übereinkommens garantiertes Recht auf friedliche Versammlungsfreiheit verstoße, das Folgendes vorsieht:
„1. Jeder hat das Recht auf friedliche Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit mit anderen, einschließlich des Rechts, Gewerkschaften zu gründen und ihnen beizutreten, um seine Interessen zu schützen.
2. Die Ausübung dieser Rechte darf nur eingeschränkt werden, wenn dies gesetzlich vorgeschrieben und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Sicherheit, zur Verhütung von Unruhen oder Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer erforderlich ist. Dieser Artikel steht der Auferlegung rechtmäßiger Beschränkungen der Ausübung dieser Rechte durch Angehörige der Streitkräfte, der Polizei oder der Staatsverwaltung nicht entgegen.“
I. ZULÄSSIGKEIT DER RECHTSSACHE
14. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die vorliegende Anmeldung Tatsachen- und Rechtsfragen aufwirft, die so schwerwiegend sind, dass ihre Feststellung von einer Prüfung in der Sache abhängt, und dass keine Gründe für ihre Unzulässigkeit vorliegen. Der Gerichtshof erklärt die Klage daher für zulässig. In Übereinstimmung mit seiner Entscheidung, Artikel 29 § 3 des Übereinkommens anzuwenden (siehe Absatz 4 oben), wird der Gerichtshof seine Begründetheit unverzüglich prüfen.
II. ANGEBLICHER VERSTOß GEGEN ARTIKEL 11 DES ÜBEREINKOMMENS
A. Die Argumente der Parteien
15. Die Klägerin machte geltend, der Eingriff in ihr Recht auf Versammlungsfreiheit verfolge kein legitimes Ziel und sei in einer demokratischen Gesellschaft nicht erforderlich.
16. Die Regierung akzeptierte, dass ein Eingriff in die in Artikel 11 des Übereinkommens garantierten Rechte des Antragstellers stattgefunden hat. Dieser Eingriff war jedoch gesetzlich vorgeschrieben, nämlich durch das Versammlungsgesetz, verfolgte ein legitimes Ziel und war in einer demokratischen Gesellschaft notwendig.
17. In Bezug auf das legitime Ziel machte die Regierung geltend, dass die Einmischung gerechtfertigt sei, da sie die Interessen der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung verfolge. Nach Ansicht der Regierung hätte die Abhaltung der Demonstration vor der Regierung zu Spannungen zwischen der Mehrheitswählerschaft der Kommunistischen Partei und der Minderheitswählerschaft der Bewerberpartei führen und zu Gewalttaten ausarten können. Darüber hinaus stellten die Aufrufe der antragstellenden Partei zur „russischen Besetzung Moldawiens“ eine Anstiftung zu einem Angriffskrieg und Hass gegen die Russen dar. In Bezug auf die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in das verfolgte legitime Ziel machte die Regierung geltend, dass das Interesse der Mehrheitswähler, die für die Kommunistische Partei gestimmt hätten, Vorrang vor dem Interesse der Minderheitswähler habe, die für die antragstellende Partei gestimmt hätten. Darüber hinaus berücksichtigten die Behörden bei der Einschränkung der Versammlungsfreiheit des Antragstellers das Interesse der Republik Moldau an der Aufrechterhaltung guter bilateraler Beziehungen zur Russischen Föderation.
B. Beurteilung des Gerichtshofs
18. Die Parteien sind sich einig, und der Gerichtshof stimmt zu, dass die Entscheidung, den Antrag der Klägerin auf Durchführung einer Demonstration am 25.Januar 2004 zurückzuweisen, einen „Eingriff der öffentlichen Gewalt“ in das Recht der Klägerin auf Versammlungsfreiheit nach Artikel 11 erster Absatz darstellte. Ein solcher Eingriff führt zu einem Verstoß gegen Artikel 11, es sei denn, er ist „gesetzlich vorgeschrieben“, hat ein Ziel oder Ziele, die nach Absatz 2 des Artikels legitim sind und „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ sind, um dieses Ziel oder diese Ziele zu erreichen.
19. Die Vertragsparteien bestreiten nicht, dass der Eingriff rechtmäßig im Sinne von Artikel 11 des Übereinkommens war. Gleichzeitig waren sie sich nicht einig, ob die Einmischung einem legitimen Ziel diente. Der Gerichtshof hält es aus den nachstehenden Gründen nicht für erforderlich, über diesen Punkt zu entscheiden, und wird sich auf die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs konzentrieren.
20. Der Gerichtshof erinnert daran, dass er in seinen Urteilen mehrfach festgestellt hat, dass die Demokratie nicht nur ein grundlegendes Merkmal der europäischen öffentlichen Ordnung ist, sondern dass der Konvent darauf ausgerichtet war, die Ideale und Werte einer demokratischen Gesellschaft zu fördern und zu bewahren. Demokratie, so hat der Gerichtshof betont, ist das einzige politische Modell, das im Konvent in Betracht gezogen wird, und das einzige, das damit vereinbar ist. Nach dem Wortlaut des zweiten Absatzes von Artikel 11 und ebenso der Artikel 8, 9 und 10 des Übereinkommens ist die einzige Notwendigkeit, die einen Eingriff in eines der in diesen Artikeln verankerten Rechte rechtfertigen kann, eine Notwendigkeit, die behaupten kann, einer „demokratischen Gesellschaft“ zu entspringen (siehe Refah Partisi (die Wohlfahrtspartei) und andere gegen die Türkei , Nrn. 41340/98, 41342/98, 41343/98 und 41344/98, §§ 86-89, EMRK 2003-II und Christdemokratische Volkspartei gegen Moldau, Nr. 28793/02, EMRK 2006-II).
21. In Bezug auf die Merkmale einer „demokratischen Gesellschaft“ hat der Gerichtshof Pluralismus, Toleranz und Aufgeschlossenheit besondere Bedeutung beigemessen. In diesem Zusammenhang hat es entschieden, dass, obwohl die Interessen des Einzelnen gelegentlich denen einer Gruppe untergeordnet werden müssen, Demokratie nicht einfach bedeutet, dass die Ansichten der Mehrheit immer vorherrschen müssen: Es muss ein Gleichgewicht erreicht werden, das die faire und angemessene Behandlung von Minderheiten gewährleistet und jeden Missbrauch einer beherrschenden Stellung vermeidet (vgl. Young, James und Webster gegen das Vereinigte Königreich, 13.August 1981, § 63, Reihe A nr. 44, und Chassagnou u. A. gegen. 25088/94, 28331/95 und 28443/95, § 112 EMRK 1999-III).
22. Bei seiner Prüfung nach Artikel 11 hat der Gerichtshof nicht die Aufgabe, die Auffassung der zuständigen nationalen Behörden durch seine eigene zu ersetzen, sondern die Entscheidungen, die sie in Ausübung ihres Ermessens getroffen haben, nach Artikel 11 zu überprüfen. Dies bedeutet nicht, dass es sich darauf beschränken muss, festzustellen, ob der beklagte Staat sein Ermessen angemessen ausgeübt hat, sorgfältig und in gutem Glauben; sie muss den beanstandeten Eingriff im Lichte der Rechtssache insgesamt prüfen und feststellen, ob er „in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Ziel“ stand und ob die von den nationalen Behörden zur Rechtfertigung vorgebrachten Gründe „sachdienlich und ausreichend“ sind. Dabei hat sich der Gerichtshof davon zu überzeugen, dass die nationalen Behörden Normen angewandt haben, die mit den in Artikel 11 verankerten Grundsätzen im Einklang standen, und dass sie ihre Entscheidungen im Übrigen auf eine annehmbare Würdigung des Sachverhalts gestützt haben (vgl. Vereinigte Kommunistische Partei der Türkei u. a. v. Türkei, 30 Januar 1998, § 47, Berichte über Urteile und Entscheidungen 1998-I).
23. Das Recht auf friedliche Versammlungsfreiheit ist für jeden gesichert, der die Absicht hat, eine friedliche Demonstration zu organisieren. Die Möglichkeit gewalttätiger Gegendemonstrationen oder die Möglichkeit, dass sich Extremisten mit gewalttätigen Absichten der Demonstration anschließen, kann dieses Recht als solches nicht entziehen (vgl. Plattform „Ärzte für das Leben“ v. Österreich, Urteil vom 21.Juni 1988, § 32, Reihe A Nr. 139). Die Beweislast für die gewalttätigen Absichten der Organisatoren einer Demonstration liegt bei den Behörden.
24. In Anbetracht der wesentlichen Rolle, die politische Parteien für das reibungslose Funktionieren der Demokratie spielen, sind die in Artikel 11 genannten Ausnahmen, soweit es sich um politische Parteien handelt, streng auszulegen; nur überzeugende und zwingende Gründe können Einschränkungen der durch Artikel 11 garantierten Freiheiten dieser Parteien rechtfertigen. Bei der Feststellung, ob eine Notwendigkeit im Sinne des Artikels 11 § 2 vorliegt, haben die Vertragsstaaten nur einen begrenzten Beurteilungsspielraum, der mit einer rigorosen europäischen Aufsicht einhergeht (vgl. Sozialistische Partei u. a. v. Türkei, 25 Mai 1998, § 50, Berichte 1998-III). Während die Meinungsfreiheit für alle wichtig ist, gilt dies insbesondere für einen gewählten Volksvertreter. Er vertritt seine Wählerschaft, macht auf ihre Sorgen aufmerksam und verteidigt ihre Interessen. Eingriffe in die Meinungsfreiheit eines oppositionellen Abgeordneten erfordern daher eine genauere Prüfung durch den Gerichtshof (vgl. Castells / Spanien, 23.April 1992, § 42, Reihe A Nr. 236).
25. Der Gerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass das Übereinkommen Rechte garantieren soll, die nicht theoretisch oder illusorisch, sondern praktisch und wirksam sind (vgl. Artico gegen Italien, Urteil vom 13.Mai 1980, § 33, Reihe A Nr. 37). Aus dieser Feststellung folgt, dass eine echte und wirksame Achtung der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit nicht auf eine bloße Pflicht des Staates, sich nicht einzumischen, reduziert werden kann; eine rein negative Auffassung wäre weder mit dem Zweck des Artikels 11 noch mit dem des Übereinkommens im Allgemeinen vereinbar. Es können daher positive Verpflichtungen bestehen, um die tatsächliche Ausübung des Rechts auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit zu gewährleisten (vgl. Wilson, National Union of Journalists and Others v. the United Kingdom, Nrn. 30668/96, 30671/96 und 30678/96, § 41, EMRK 2002-V), auch im Bereich der Beziehungen zwischen Einzelpersonen (vgl. Plattform „Ärzte für das Leben“, oben zitiert, § 32). Dementsprechend obliegt es den Behörden, das ordnungsgemäße Funktionieren einer politischen Partei zu gewährleisten, auch wenn sie Personen, die den Ideen oder Behauptungen, die sie zu fördern versucht, widersprechen, schockiert oder beleidigt. Ihre Mitglieder müssen in der Lage sein, Versammlungen abzuhalten, ohne befürchten zu müssen, dass sie von ihren Gegnern körperlicher Gewalt ausgesetzt werden. Eine solche Befürchtung könnte andere Verbände oder politische Parteien davon abhalten, ihre Meinung zu höchst kontroversen Themen, die die Gemeinschaft betreffen, offen zu äußern.
26. In Bezug auf die Umstände des vorliegenden Falls stellt der Gerichtshof fest, dass die CDPP zur gleichen Zeit eine parlamentarische Minderheitenoppositionspartei mit ungefähr zehn Prozent der Sitze im Parlament war, während die Kommunistische Mehrheitspartei ungefähr siebzig Prozent der Sitze besaß. Die Einmischung betraf eine Demonstration, mit der die antragstellende Partei gegen angebliche antidemokratische Missbräuche der Regierung und gegen die russische Militärpräsenz in der abtrünnigen Region Transnistrien in der Republik Moldau protestieren wollte. Angesichts des öffentlichen Interesses an der freien Meinungsäußerung in Bezug auf solche Themen und der Tatsache, dass die Klägerin eine Oppositionspartei im Parlament war, ist der Gerichtshof der Auffassung, dass der Anerkennungsspielraum des Staates entsprechend gering war und dass nur sehr zwingende Gründe den Eingriff in das Recht der CDPP auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit gerechtfertigt hätten.
27. Das Gericht stellt fest, dass der Gemeinderat von Chişinău und die nationalen Gerichte der Ansicht waren, dass die Parolen „Nieder mit dem totalitären Regime von Voronin“ und „Nieder mit Putins Besatzungsregime“ Aufrufe zum gewaltsamen Sturz des Verfassungsregimes und zum Hass gegen das russische Volk und zur Anstiftung zu einem Aggressionskrieg gegen Russland darstellten. Das Gericht stellt fest, dass solche Slogans als Ausdruck von Unzufriedenheit und Protest verstanden werden sollten, und ist nicht davon überzeugt, dass sie vernünftigerweise als Aufruf zur Gewalt angesehen werden könnten, selbst wenn sie von der Verbrennung von Flaggen und Bildern russischer Führer begleitet würden. Der Gerichtshof erinnert daran, dass selbst Protestformen wie die aktive körperliche Behinderung der Jagd als Meinungsäußerung angesehen wurden (vgl. Steel u. A. gegen das Vereinigte Königreich, 23.September 1998, § 92, Reports 1998-VII; Hashman und Harrup gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 25594/94, § 28, EMRK 1999-VIII). Auch im vorliegenden Fall stellt der Gerichtshof fest, dass die Slogans der antragstellenden Partei, selbst wenn sie mit dem Verbrennen von Flaggen und Bildern einhergingen, eine Form der Meinungsäußerung in Bezug auf eine Frage von großem öffentlichen Interesse darstellten, nämlich die Anwesenheit russischer Truppen auf dem Territorium der Republik Moldau. Der Gerichtshof erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass sich die Meinungsfreiheit nicht nur auf „Informationen“ oder „Ideen“ bezieht, die positiv aufgenommen oder als harmlos oder gleichgültig angesehen werden, sondern auch auf solche, die beleidigen, schockieren oder stören (siehe Jersild gegen Dänemark, 23. September 1994, § 31, Reihe A Nr. 298). Daher ist der Gerichtshof nicht davon überzeugt, dass die vorstehenden Gründe, auf die sich die nationalen Behörden berufen, um der ersuchenden Partei die Genehmigung zum Nachweis zu verweigern, als relevant und ausreichend im Sinne von Artikel 11 des Übereinkommens angesehen werden könnten.
28. Bei ihren Entscheidungen stützten sich die inländischen Behörden auch auf das Risiko von Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Anhängern der Regierungspartei. Selbst wenn theoretisch die Gefahr gewaltsamer Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Anhängern der Kommunistischen Partei bestehe, sei es Aufgabe der Polizei, zwischen den beiden Gruppen zu stehen und die öffentliche Ordnung zu gewährleisten (siehe oben, Randnr.25). Daher könne auch dieser Grund für die Verweigerung der Zulassung nicht als sachdienlich und ausreichend im Sinne von Artikel 11 des Übereinkommens angesehen werden.
29. In Anbetracht der vorstehenden Schlussfolgerungen erinnert der Gerichtshof daran, dass die Klägerpartei im Jahr 2002 über zahlreiche friedliche Protestdemonstrationen verfügte, bei denen es nicht zu gewaltsamen Zusammenstößen gekommen war (vgl. Christlich-Demokratische Volkspartei / Moldau, oben angeführt; Roşca u. A. / Moldau, Nrn. 25230/02, 25203/02, 27642/02, 25234/02 und 25235/02, 27.März 2008). Unter diesen Umständen ist das Gericht der Auffassung, dass die Handlungen der Klägerin nicht darauf hindeuten, dass sie die öffentliche Ordnung stören oder eine Konfrontation mit den Behörden oder Anhängern der Regierungspartei anstreben wollte (vgl. Hyde Park u. A. gegen Moldawien, Nr. 33482/06, § 30 vom 31. März 2009).
30. Dementsprechend kommt das Gericht zu dem Schluss, dass der Eingriff nicht einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprach und in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig war. Es liegt ein Verstoß gegen Artikel 11 der Konvention vor.
III. ANWENDUNG DES ARTIKELS 41 DES ÜBEREINKOMMENS
31. Artikel 41 des Übereinkommens sieht vor:
„Stellt der Gerichtshof fest, dass eine Verletzung des Übereinkommens oder der Protokolle dazu vorliegt, und lässt das innerstaatliche Recht der betreffenden Hohen Vertragspartei nur eine teilweise Wiedergutmachung zu, so gewährt der Gerichtshof dem Geschädigten erforderlichenfalls nur Genugtuung.“
A. Schaden
32. Die Klägerin forderte 3.000 Euro (EUR) für moralischen Schaden.
33. Die Regierung war anderer Meinung und argumentierte, dass der Betrag übermäßig und unbegründet sei.
34. Das Gericht spricht der antragstellenden Partei den gesamten geforderten Betrag zu.
B. Kosten und Aufwendungen
35. Die Klägerinnen forderten außerdem 1.098,05 EUR für die vor den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof angefallenen Kosten und Aufwendungen.
36. Die Regierung bestritt den Betrag und argumentierte, er sei zu hoch.
37. Das Gericht vergibt 1.000 Euro für Kosten und Aufwendungen.
C. Verzugszinsen
38. Der Gerichtshof hält es für angemessen, dass die Verzugszinsen auf dem Spitzenrefinanzierungssatz der Europäischen Zentralbank beruhen, zu dem drei Prozentpunkte hinzuzurechnen sind.
AUS DIESEN GRÜNDEN HAT DAS GERICHT EINSTIMMIG
1. Erklärt den Antrag für zulässig;
2. Hält fest, dass ein Verstoß gegen Artikel 11 des Übereinkommens vorliegt;
3. Hält
a) dass der beklagte Staat dem Kläger innerhalb von drei Monaten ab dem Tag, an dem das Urteil gemäß Artikel 44 § 2 des Übereinkommens rechtskräftig wird, die folgenden Beträge zu zahlen hat, die in die Währung des beklagten Staates zu dem am Tag des Vergleichs geltenden Kurs umzurechnen sind:
i) 3.000 EUR (dreitausend Euro) für immaterielle Schäden zuzüglich etwaiger Steuern, die auf diesen Betrag erhoben werden;
ii) 1.000 EUR (eintausend Euro) für Kosten und Aufwendungen zuzüglich etwaiger Steuern, die dem Antragsteller auf diesen Betrag in Rechnung gestellt werden können;
b) dass ab Ablauf der oben genannten drei Monate bis zur Begleichung einfache Zinsen auf die oben genannten Beträge zu einem Satz zu zahlen sind, der dem Spitzenrefinanzierungssatz der Europäischen Zentralbank während des Ausfallzeitraums zuzüglich drei Prozentpunkten entspricht;
4. Weist den Rest des Anspruchs des Antragstellers auf gerechte Befriedigung ab.
In englischer Sprache verfasst und am 2. Februar 2010 gemäß Regel 77 §§ 2 und 3 der Gerichtsordnung schriftlich notifiziert.
Fatoş Aracı Nicolas Bratza
Stellvertretender Kanzlerpräsident
CHRISTDEMOKRATISCHE VOLKSPARTEI gegen MOLDAWIEN (Nr. 2) URTEIL